Rückblick des Elternbeirates im Juli 2017
Ein nicht übersehbares Ereignis der vergangenen Monate war das zähe Ringen und schließlich die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium. Warum befasst sich der Elternbeirat mit diesem Thema? Weil eine überzeugende und sehr präsente Mehrheit von Eltern und damit auch Wahlberechtigten die Politik zu einer Entscheidung gezwungen hat. Nach dreizehn Jahren versuchter Schadensbegrenzung war das eine bildungspolitische Revolution.
Natürlich waren bei der G8/G9-Diskussion, wie bei jeder Kontroverse, Licht und Schatten nicht eindeutig verteilt. Fest steht aber, dass die Einführung des G8 im Jahr 2004 Ergebnis einer überstürzten Reform war. Und sie war geprägt von – so möchte ich es bezeichnen – unterkühlter finanzpolitischer Eitelkeit. Die schwarzen Zahlen des bayerischen Staatshaushaltes waren wichtiger als die Entwicklungsvielfalt zahlloser Kinder, das Zeitmanagement zahlloser Familien, die Existenz zahlloser Neigungsgruppen und Initiativen, an denen die Kinder und Jugendlichen bis dato nachmittags Zeit hatten teilzunehmen.
Von Anfang an war die Entscheidung zum G8 sehr umstritten. Im Jahr 2004 gingen Lehrerverbände auf die Straße, 2005 scheiterte ein Volksbegehren, ab 2008 wurde der Lehrplan nachgebessert. Das Ergebnis des ersten G8-Abiturjahrgangs 2011 wurde auf abenteuerliche Weise zurechtgebogen. Die G8/G9-Diskussion war ab 2012 dauerhaft politischer Zündstoff. Die CSU verteidigte das G8 unbeugsam. Ihr drohte ein Gesichtsverlust. Ein weiteres Manöver war 2014 die Mittelstufe Plus. Mit der Folge, dass unerwartet viele Eltern sich für den Modellversuch des neunjährigen Gymnasiums entschieden. Erst als schließlich im Januar 2017 die Landeselternvereinigung das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage vorlegte, nach der 80% der bayerischen Eltern künftig ein einheitliches neunjähriges Gymnasium in Bayern haben wollten, war die Politik gezwungen zu handeln.
Das deutsche Bildungssystem, so Edmund Stoiber 2003, raube den Jugendlichen „wertvolle Zeit, die sie für Familiengründung, Beruf und Aufbau ihrer Altersversorgung nutzen können“. Es ist nicht ohne Ironie, dass das Motiv der geraubten Zeit die Seite gewechselt hat. Viele Eltern sehen ihre Kinder durch das enge Zeitkorsett des G8 der Kindheit beraubt. Sie wünschen sich eine nicht komprimierte Jugendzeit.
Als stiller Motor der Reform 2003 hat die Industrie darauf gedrängt, die Schule den Erfordernissen der Wirtschaft anzupassen. Bildung sollte vor allem einen berufsbezogenen Zweck verfolgen. An den Hochschulen und Universitäten ist der Einfluss der Wirtschaft unübersehbar. Wer das „Richtige“ studiert, erhält bereits im ersten Semester verlockende Angebote. Jüngere und damit formbarere Studenten an den Hochschulen sind sicher im Interesse der Wirtschaft. Die Zusammenarbeit zwischen Schule und Wirtschaft ist über den „Bildungspakt Bayern“ weiter fortgeschritten, als wir üblicherweise denken. Wir können froh sein, wenn sich der Einfluss der Industrie auf die Schulen noch in Grenzen hält. Ein Wählervotum wie in den letzten Monaten hat die verantwortlichen Politiker erreicht. Die Führung der Wirtschaft wäre nicht erreichbar gewesen.
Die Frage, ob sich Bildung ausschließlich an der materiellen Nützlichkeit orientieren soll, ist uralt. Der große antike Mathematiker Euklid (ca. 365-300 v. Chr.) hat sie für sich verneint. Die Forschungen Euklids waren – ganz im Geiste Platons – auf die reine Erkenntnis gerichtet, nicht auf praktische Anwendung oder gar materiellen Gewinn. Bei dieser Einstellung ist es sehr bemerkenswert, dass sein Hauptwerk „Elemente“ zum wichtigsten Lehrbuch der Mathematik und bis ins 19. Jahrhundert zum meistverbreiteten Werk der Weltliteratur nach der Bibel wurde. Es drängt sich der Zusammenhang von Absichtslosigkeit und Erfolg auf, ein in fernöstlichen Geisteshaltungen beheimateter Gedanke.
Am Karlsgymnasium ist die humanistische Bildung beheimatet. Verbunden mit dem Erlernen von Latein und Griechisch, zwei Fächern, die auf der Nützlichkeitsskala gerne mal mit wenig Punkten bedacht werden. Kein Wunder also, wenn dem Karlsgymnasium in einer an Nützlichkeit orientierten Schulpolitik nur ein Nischendasein zukäme. Dabei sind die Grundwerte des Humanismus – ich nenne beispielhaft: Offenheit, Transparenz, Demokratie, Menschlichkeit, Respekt und Toleranz – zentrale Säulen unserer Gesellschaft. Die Lektüre alter Schriften kann sie vermitteln, aber sie sind nicht an Fächer gebunden. Im Gegenteil, sie lassen sich in jedem Zusammenhang und in jeder Gemeinschaft leben. Und wir lernen sie notgedrungen wieder mehr zu schätzen, weil sie selbst in europäischen Staaten nicht mehr selbstverständlich sind.
In diesem Sinne beglückwünschen wir das Karlsgymnasium dazu, humanistische Werte zu leben und zu vermitteln. Es gibt auf dem Weg zum mündigen Mitmenschen keine wertvollere Botschaft. Und wir fördern dazu passende Projekte wie gegenwärtig die bundesweite Initiative „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“.
Wir unterstützen das Karlsgymnasium mit seinem Profil als „Lateinschule“. Im Zeitalter zunehmender Zertifizierungen geht mitunter der Blick für übergeordnete Aspekte einer gymnasialen Schulbildung verloren. Schlimmstenfalls entscheidet einmal die Nützlichkeit über die Finanzierung. Schon jetzt ist ein Gymnasium für seine Auslastung selbstverantwortlich. Die Attraktivität des Karlsgymnasiums will also gepflegt sein. Und wir Eltern sind sehr geeignet, das gute Klima, das an unserer Schule herrscht, zu verbreiten und weiterzutragen. Da sind nicht nur die organisatorischen Aufgaben, die dem Elternbeirat zufallen. Wo immer sich die Gelegenheit bietet, versuchen wir mit direkten Gesprächen und Menschlichkeit für das Karlsgymnasium ein Zeichen zu setzen.
Der Elternbeirat dankt der Schulleitung, Herrn Franz, Herrn Gruber und Frau Daubenmerkl für die gute Zusammenarbeit, Herrn Franz besonders für seine stete Präsenz und seine Berichte bei unseren Sitzungen. Wir danken den Lehrerinnen und Lehrern für ihr Engagement für unsere Kinder und ihren Beitrag zum guten Geist der Schule. Wir danken Herrn und Frau Karges für ihre Freundlichkeit und Unterstützung. Wir danken besonders der SMV für ihren bewundernswerten Einsatz an der Schule. Die Arbeit der SMV fördern wir ausdrücklich gerne. Vielen Dank auch an Frau Garritsen, Frau van Ess und Frau Maignan für die herzliche Stimmung im Sekretariat.
Wir laden alle, die sich von diesen Zeilen angesprochen fühlen oder die wesentliches vermissen, ein, mit uns in Kontakt zu treten. Gelungene Kommunikation ist das Mittel, um die Dinge zu verändern.
Anton Rädler, Vorsitzender des Elternbeirates